Die ersten zehn zählen – wie Personalisierung den Erfolg von Nachrichten-Websites steigert

Wir haben eine romantisierte Sicht auf die Nutzer:innen von Nachrichten-Webseiten. Sie kommen mehrmals am Tag auf die Webseite – mindestens morgens und abends. Sie scrollen die Startseite brav von oben nach ganz unten, machen das Gleiche mindestens bei einer Unterseite, lesen hoch interessiert alle Teaser und springen dann in mindestens zwei bis drei Artikel rein. Die lesen sie dann aufmerksam Wort für Wort bis zum Ende.

Schön wärs! Achtung, jetzt kommt die unangenehme bittere Wahrheit. Lesen Sie besser nicht weiter, wenn sie zart besaitet sind.

Eine Nutzer:in schenkt Ihrer Nachrichten-Webseite sieben Sekunden – pro Tag! Ja, das ist ein Durchschnitt. Aber das Fiese am Durchschnitt ist: es gibt jede Menge Nutzer:innen, die darunter liegen. Glauben Sie nicht? Wir probieren es aus: Handy in die Hand, Browser auf, Nachrichten-Webseite aufrufen. Einmal schnell informieren, bitte. Bisschen hoch-, bisschen runterscrollen, in einen Artikel reinspringen. Stopp! Und, wie lange war das? Sieben Sekunden scheinen auf einmal eine ziemlich lange Zeit zu sein.

Wie weit haben sie auf der Webseite heruntergescrollt? So ein bis zwei Daumenbewegungen? Dann sind sie in guter Gesellschaft. Nur wenige Nutzer:innen schaffen es überhaupt, ein paar Screen-Längen zu scrollen. Den zehnten Artikel erreichen schon nur noch weniger als 50% der Nutzer:innen.

Achtung, noch ein Test: öffnen sie eine Nachrichten-Webseite auf Ihrem Laptop. Wie viele Artikel können Sie maximal auf einmal sehen? Zwei, drei? Ja, das kommt hin. Jetzt machen Sie das gleiche bei Netflix. Wie viele Filme sehen Sie? 16, hmm interessant. Und bei YouTube? 12, hmm das ist irgendwie mehr als zwei bis drei. Und die 12 bis 16, die Ihnen Netflix und YouTube zeigen sind auch noch auf Sie zugeschnitten. Die zwei bis drei auf der Nachrichten-Webseite nicht.

Wir müssen unsere Logik digitaler Nachrichtenprodukte komplett neu denken. Personalisierung ist ein wichtiges Puzzlestück in dem Spiel um die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen. Wenn der Großteil der Nutzer:innen nur die oberen paar Artikel zu Gesicht kriegt, müssen wir dort die für die Nutzer:in relevantesten Inhalte zeigen. Das ist nur mit Personalisierung möglich, denn „relevant“ ist für jede:n etwas anderes.

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Aber wie kann man herausfinden, was für eine Nutzer:in relevant ist? Nehmen wir an eine Nachrichten-Website hat im Schnitt die Gelegenheit zehn Artikel zu präsentieren, bevor eine Nut zer:in wieder abspringt. Diese Annahme entspricht ungefähr dem durchschnittlichen Nutzungsverhalten auf mobilen Endgeräten. Zu diesem Ergebnis kam eine Analyse über 30 News-Portale innerhalb der Drive-Initiative, ein Gemeinschaftsprojekt von dpa und SCHICKLER.

Die Selektion dieser zehn Artikel ist also für den Erfolg einer Nachrichtenseite entscheidend. Da jede Nutzer:in eine andere Präferenz besitzt, testet die Drive-Initiative seit einiger Zeit Personalisierungsalgorithmen, die eine individuelle Vorauswahl von Artikeln für Nutzer:innen unterstützen. Als vielversprechender Ansatz hat sich der LDA-Algorithmus erwiesen. Die Abkürzung steht für Latent Dirichlet Allocation.

Wie funktioniert der LDA-Algorithmus?

Der LDA-Algorithmus erkennt das Thema eines Artikels, indem er die Häufigkeit und Verteilung der Wörter analysiert. Ein Thema ist definiert durch eine Gruppe von Wörtern, die sehr häufig zusammen vorkommen. Zum Beispiel werden die Wörter „ulm“, „geislingen“ und „sc“ in Artikeln über den regionalen Fußballclub SC Geislingen in Ulm erwähnt. Ein Artikel kann sich aus mehreren solcher Themen zusammensetzen. Der LDA-Algorithmus gibt in diesem Fall die inhaltliche Nähe zu diesen Themen wieder.

Abbildung: Beispielhafte Klassifizierung von Themen anhand der Worthäufigkeit und -verteilung

Auf dieser Basis können wir aus der Historie der Lesegewohnheiten des Users seine Themeninteressen identifizieren und ihm automatisch Artikel empfehlen bzw. ausspielen, die in seinem Interessenbereich liegen.

Dreimal höhere Trefferquote

In den bisherigen Praxistests hat der LDA-Algorithmus bereits seine Trefferquote bewiesen. Nach einem Trainingszeitraum von 30 Tagen empfahl er den Leser:innen Artikel, die dreimal besser geklickt wurden als zufällig ausgewählte Artikel. Vergleicht man die Auswahl von jeweils 10 Artikeln, haben sechzig Prozent der Testgruppe einen vom Algorithmus empfohlenen Artikel gelesen, gegenüber weniger als zwanzig Prozent in der Kontrastgruppe mit zufälliger Artikelauswahl.

Die Personalisierung sollte also auf den vorderen Plätzen des Nachrichtenportals stattfinden, und nicht nur versteckt am Ende der Seite oder in Empfehlungsboxen am Artikelende. So können die Algorithmen dafür sorgen, dass es mehr Treffer unter den ersten zehn Artikel gibt. Denn ein Mangel an relevanten Artikeln gibt es meist nicht, man muss sie als Leser:in nur finden.

Autor: Lennart Johannknecht

E-Mail: l.johannknecht@schickler.de

 

 

Autor: Dr. Christoph Mayer, Geschäftsführender Partner

E-Mail: c.mayer@schickler.de

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