Aus der Praxis: Einführung agiler Teams im Medienumfeld am Beispiel von Ringier Axel Springer Schweiz

Ringier Axel Springer Schweiz ist der führende Schweizer Zeitschriftenverlag. Das Unternehmen verfügt mit über 20 Print-Titeln und über 400 Ausgaben im Jahr über das größte Zeitschriften-Portfolio der Schweiz, unter anderem die bekannteste Publikumszeitschrift, die Schweizer Illustrierte.

Die Schweizer Illustrierte lebt primär von ihren Bestandsabonnenten im Print, viele von ihnen seit vielen Jahren treue Leser. Das Digitalgeschäft besteht rein aus Werbeumsätzen, welches sich aber wie viele andere auch gegen die großen globalen Reichweitenportale nur schwer durchsetzen kann. Entsprechend muss die Print-Abonnentenbasis so lange wie nur möglich gehalten werden – eine besonders schwierige Aufgabe in der Schweiz, da dort jährlich der Leser neu überzeugt werden muss, aktiv mit einer Überweisung sein Abonnement zu verlängern.

 

Retention Management Print als herausfordernde Aufgabe

Der Hebel liegt also in der proaktiven Bindung von Print-Abonnenten bzw. auf Neudeutsch „Retention Management Print“. Ein solches Retention Management im Print-Bereich ist nicht nur Neuland sondern besonders herausfordernd. Diese Herausforderung liegt insbesondere darin

  • möglichst frühzeitig zu erkennen, wann welche Abonnenten mit dem Kündigungsgedanken spielen
  • dem Bestandsabonnenten möglichst viele und passende „Touchpoints“ und Angebote zu bieten, damit sein Engagement und damit seine Beziehung mit der Marke bzw. dem Angebot kontinuierlich gesteigert bzw. gehalten wird

Bei der reinen Zustellung des gedruckten Produktes werden diese beiden Aspekte kaum berücksichtigt. Die Anzahl an Interaktionen mit dem Leser ist meist auf die maximal wöchentliche Zustellung des Produktes begrenzt, also 1-4 mal im Monat. Gleichzeitig ist die Begeisterung bzw. das Engagement des Lesers nicht bekannt, da sein Leseverhalten aus seinem Wohnzimmer heraus nicht erhebbar ist.

Entsprechend liegen die Hebel einerseits in der signifikanten Steigerung der Interaktionen („Touchpoints“) mit dem Leser und gleichzeitig der systematischen Auswertung dieser Interaktionen, um seine mögliche Kündigungsbereitschaft frühzeitig zu erkennen („Churn Prediction“).

Beide Hebel sind nur theoretisch über analoge Kanäle ansetzbar. Die Kosten wären sehr hoch und eine wirkliche Interaktion über analoge Kanäle ist kaum umsetzbar. Entsprechend ist eine digitale Erweiterung der Beziehung zum Print-Abonnenten unerlässlich, um die Haltbarkeit des Print-Abonnements zu verlängern. Gelingt Letzteres, so steigt damit der Wert des Abonnenten für den Verlag und durch das höhere Engagement des Leser und des damit verbundenen Verständnisses seiner Präferenzen auch die Chancen, ihn weitergehender zu monetarisieren.

Diese Wertsteigerung ist das Ziel der Einführung eines Retention Management Print. Die Umsetzung einer digitalen Erweiterung der Kundenbeziehung (insbesondere über einen Email-Kanal) ist schon nicht trivial, ebenso wenig die Einführung einer möglichst genauen Kündigerprognose. Diese lässt sich inzwischen aber mithilfe von KI-Algorithmen schon sehr weit treiben.

Besonders herausfordernd ist die strukturelle Verankerung einer solchen Kernfunktion „Retention Management Print“ in tradierte Verlagsstrukturen. Der Bestandsabonnent wird nur dann engagiert bleiben, wenn sie / er regelmäßig durch neue Impulse „aktiviert“ wird. Gleichzeitig wird nur durch kontinuierliches Ausprobieren sichtbar, welche Impulse bei den Abonnenten bzw. dessen Untersegmenten zu mehr Engagement und somit Haltbarkeit führen. Hierfür muss der Verlag deutlich mehr und schneller Inhalte, Angebote, Kampagnen etc. entwickeln und auf die Straße / zum Abonnenten bringen.

Klassische Organisations- und Kollaborationsformen stoßen hier schnell an ihre Grenzen. Funktional orientierte Organisationsmodelle sind schlicht für solch dynamische und interdisziplinäre Prozesse nicht geschaffen.

 

Agile Strukturen als Lösung für dynamische und interdisziplinäre Prozesse

In dieser Situation hat sich die Führung von Ringier Axel Springer Schweiz entschlossen, agile Arbeits- und Organisationsstrukturen für das Retention Management Print einzuführen. Agile Teams (sogenannte Scrum-Teams) sind bereits seit vielen Jahren in der Softwareentwicklung und anderen primär technischen Bereichen gang und gebe. Insbesondere in Umfeldern wo das Endprodukt nicht klar definierbar und komplex ist, erlauben agile Arbeitsweisen schnell Lösungen zu entwickeln und auszuprobieren. Gleichzeitig können unterschiedlichste Disziplinen effektiv miteinander arbeiten und Lösungen entwickeln.

Bei Ringier Axel Springer Schweiz hat ein agiles Team, bestehend u.a. aus Experten in digitalem Marketing, Content-Erstellung, Front-&Back-End-Entwicklung die Verantwortung übernommen, kontinuierlich neue primär digitale Inhalte und Angebote für Abonnenten der Print-Ausgabe der Schweizer Illustrierten zu entwickeln. Der agile Ansatz erlaubte es, die vielen Ideen schnell zu priorisieren und in ausspielbare Formate umzusetzen. Diese Formate wurden getestet und falls erfolgreich dann in Regelprozessen dauerhaft übernommen. Jene Formate die sich als nicht erfolgreich in ersten Test erwiesen, wurden sofort wieder verworfen. Durch diesen agilen Trial-and-Error-Ansatz konnten in kurzer Zeit viele Ansätze ausprobiert und dann auch selektiv in den Regelbetrieb übernommen werden.

 

 

Erfolgsfaktoren: worauf muss man achten

Ein entscheidender Erfolgsfaktor war die anhaltende Unterstützung für das Team durch die Unternehmensleitung. Besonders in der Anfangsphase entstehen viele Unsicherheiten, sowohl im Team selber als auch in der restlichen Organisation. Ein agiles Team ist für die Gesamtorganisation erstmal ein fremdes Konzept, welches zu der bisherigen Arbeitsweise auf den ersten Blick nicht passt. Gleichzeitig steht es auch im Konflikt mit der klassischen Organisation, z.B. bei der Priorisierung von Ressourcen.

Als wichtig hat sich hierbei erwiesen, das die Teammitglieder nach Kompetenz und nach Motivation ausgesucht werden. Alle Mitglieder müssen willens sein, sich auf etwas komplett Neues und erstmal Unbekanntes einzulassen. Gleichzeitig bedarf es einem Training und einer kontinuierlichen Begleitung des Teams durch SCRUM-Experten, um die notwendigen Kompetenzen aufzubauen und Unsicherheiten / Zweifel abzubauen.

Bei Ringier Axel Springer Schweiz hat sich schnell gezeigt, dass sich dieser Aufwand lohnt. Die Effizienz und Effektivität des Teams nahm sichtbar kontinuierlich von Sprint für Sprint zu. Jeder Sprint war auf 14-Tage begrenzt.

Gleichzeitig konnte eine kontinuierliche Steigerung der Zufriedenheit der Teammitglieder festgestellt werden. Auch diese Entwicklung wurde regelmäßig gemessen und intern gespiegelt, um die notwendige Transparenz in alle Richtungen sicherzustellen. Nichts ist schlechter für die Einführung agiler Teams als fehlende Transparenz über die Entwicklung, die Effektivität und auch die Fehler die gemacht werden.

Fazit: Agil funktioniert, wenn…

Zusammenfassend kann man diesem Beispiel der Einführung agiler Teams in einem Medienunternehmen folgende Kernaussagen entnehmen:

  • Agile Teams eignen sich sehr gut für die schnelle und kontinuierliche Umsetzung von Lösungen Angeboten in weiten Teilen der Organisation, auch jenseits technischer Umfelder
  • Mitglieder agiler Teams müssen fachliche Kompetenz und Motivation mitbringen – das Erlernen agiler Arbeitsmethoden erfolgt dann „on the job“
  • Agile Teams arbeiten nur dann wirklich effektiv, wenn SCRUM-Methoden und -Rollen sehr gewissenhaft und umfänglich „gemäß der reinen Lehre“ eingehalten werden – „ein bisschen agil“ bringt kaum was
  • Werden agile Teams erfolgreich umgesetzt und ihre Ergebnisse breit kommuniziert, folgt die Akzeptanz im Rest der Organisation fast von alleine
  • Mitglieder agiler Teams haben anfängliche Skepsis und Unsicherheiten – nach wenigen Wochen empfinden sie die Dynamik, Freiheit und Innovationskraft solcher Arbeitsmethoden als enorm befruchtend, unabhängig von Kompetenz, Alter o.ä.
  • Die ersten Wochen im Rahmen der Einführung eines agilen Teams (vor allem des ersten Teams) sind extrem kritisch – hier bedarf es der intensiven Rückendeckung durch das Top Management
  • Messen, messen, messen – nur durch 100%-Transparenz der Entwicklung können kontinuierlich Verbesserungen umgesetzt, Fehler ausgemerzt und somit die wichtigsten KPIs gesteigert werden.

 

 

Autor: Alexander Kahlmann, Geschäftsführer SCHICKLER

E-Mail: a.kahlmann@schickler.de

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