Mythos Conversion: Viele Pay-Strategien steuern in die falsche Richtung

 

Das Thema ist allgegenwärtig: Dashboards geben Conversion-Ziele für Redakteure vor, Fachmagazine veröffentlichen Rankings der besten Conversion-Artikel und Konferenzen drehen sich um die beste Conversion-Strategie. Das Problem: Conversion ist als oberste Zielgröße für Redakteure nicht geeignet. Es sei denn, man möchte viel Churn produzieren.

In der Drive-Initiative, einem Gemeinschaftsprojekt von Schickler, der dpa und dreizehn weiteren Zeitungsverlagen, können wir mittlerweile mehr als fünf Milliarden Userevents auf News-Websites analysieren. Eine Erkenntnis ist eindeutig: Wer nachhaltige, digitale Abonnements gewinnen möchte, sollte die Loyalität des Nutzers in den Mittelpunkt stellen. Bei Drive messen wir die Loyalität mit der Zeit, die der Nutzer auf dem Portal verbringt. Diese Kernmetrik nennt sich bei Drive Media Time. Die Daten zeigen einen wichtigen Zusammenhang: Je mehr Zeit ein Nutzer auf einem Portal verbringt, desto wahrscheinlicher wird er ein Abonnement abschließen und desto unwahrscheinlicher wird die Kündigung.

Der Wert eines Abonnenten unterscheidet sich um den Faktor 23 je nach Loyalität

Warum dieser Zusammenhang wichtig ist, veranschaulicht die nächste Grafik. Sie zeigt für die unterschiedlichen Loyalitätsklassen, wie viele „Conversions“ nach zwei Monaten noch aktive Abonnenten sind. Die Loyalitätsklassen wurden im Rahmen von Drive festgelegt und systematisieren die Nutzer hinsichtlich der Kernmetrik Media Time und der Nutzungsfrequenz. Zwischen einem „Fly-By“ (liest einen Artikel alle zwei Wochen) und einem „Champion“ (liest sechs Minuten am Tag) liegt ein deutlicher Unterschied.

Die Auswertung über zehn Verlage zeigt, dass von zehn konvertierten Flybys nach zwei Monaten weniger als zwei noch aktiv sind. Das ist keine Basis für ein funktionierendes Geschäftsmodell.

Unter der vereinfachten Annahme, dass sich die monatliche Kündigungsquote in die Zukunft fortschreibt, lässt sich der Wert eines Nutzers berechnen. Schließt ein loyaler Nutzer mit hohem Engagement (Champion) ein Premium-Abonnement ab, so ist sein Kundenwert (Customer Lifetime Value) aufgrund der höheren Haltbarkeit um den Faktor 23 höher als bei einem Flyby.

Dieser Wertunterschied verdeutlicht, dass die Zielgröße „Anzahl Conversions“ nur eine sehr begrenzte Aussagekraft besitzt. Stellen Sie sich vor, ein Ladenbesitzer fragt am Abend seinen Kassierer, wieviel Geld er am Tag eingenommen hat. Der Kassierer antwortet: Einhundert Geldscheine (ohne zu sagen, um welche es sich handelt). Der Ladenbesitzer sagt: Morgen erwarte ich einhundertzwanzig Scheine.

Auch wenn diese Geschichte übertrieben klingt, genau das passiert heute in vielen Redaktionen. Der Fokus auf die Konversionen (Anzahl Geldscheine) erschwert den Blick auf das eigentliche Ziel (Wert der Geldscheine). Die Steigerung der Menge allein bringt nichts, denn sie fördert nur die Strategien, Nutzer mit geringer Loyalität zu konvertieren, die schnell wieder kündigen. 

Die Zielgröße Media Time wirkt nachhaltiger als Conversions

Das übergeordnete unternehmerische Ziel sollte immer eine nachhaltige Steigerung des Kundenwerts sein, also des Wertes aller Abonnenten in Summe. Der Kundenwert lässt sich am wirksamsten über die Loyalität des Kunden erhöhen, also über die Media Time, die er auf dem Portal verbringt. Aus diesem Grund eignet sich die „Media Time“ als zentrale Steuerungsgröße für Redaktionen viel besser als „Conversions“.

Die Media Time hat zudem den Vorteil, dass sie sich in verschiedenen Dimensionen messen lassen kann: Pro Artikel, pro Nutzer, pro Redaktions- oder Zeiteinheit. Konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Loyalität zahlen direkt auf die Media Time ein. Im Drive-Projekt arbeiten wir mit über 50 Newsroom-Mitarbeiter regelmäßig an den kleinen und großen Schrauben, um die Media Time zu steigern.

Die Umwandlung der Media Time in bezahlte Abonnements folgt erst im zweiten Schritt. Die Verantwortung liegt aus unserer Sicht nicht so sehr in der Redaktion. Vielmehr ist eine intelligente Paywall-Strategie gefragt. Algorithmen legen für jeden Nutzertyp eine individuelle Bezahlschranke fest, die Conversion wird also KI-basiert automatisiert. Daran arbeiten wir aktuell im Drive-Projekt. Für die Redakteure ist das eine gute Nachricht: Sie können sich in Zukunft wieder ausschließlich auf die besten Inhalte konzentrieren.

Autor: Rolf-Dieter Lafrenz

E-Mail: r-d.lafrenz@schickler.de

 


Autor: Lennart Johannknecht

E-Mail: l.johannknecht@schickler.de

 

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